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Seligsprechung - Bischof Von Galen
«Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen»
Das Leben Clemens Kardinal von Galen

Thomas Ernst und Franz Reimer

Am 9. Oktober 2005 wird Kardinal José Maria Saraiva Martins, der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsangelegenheiten, Clemens August Kardinal von Galen im Petersdom selig sprechen. Wer ist der neue Selige? Eine Skizze

Am 16. März 1878 wurde Clemens August Graf von Galen in Dinklage/Münsterland als elftes von dreizehn Kindern des Zentrumsabgeordneten Ferdinand Graf von Galen geboren. Er wuchs auf Burg Dinklage, dem elterlichen Familiensitz, auf. Das 1897 in der Schweiz begonnene Studium der Literatur, Geschichte und Philosophie brach er ab und wechselte ans Theologenkonvikt der Jesuiten nach Innsbruck. Im Mai 1904 empfing Galen die Priesterweihe. Nachdem er sich vergeblich freiwillig zum Militär gemeldet hatte, erlebte er das Ende des Ersten Weltkrieges in Berlin und betrachtete als «Herzensmonarchist» die Entstehung der ersten deutschen Demokratie mit großer Skepsis. 1929 berief man Graf von Galen an die Sankt-Lamberti-Gemeinde nach Münster. Im Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde er zum Bischof von Münster geweiht.

Graf von Galen und die Nationalsozialisten
Wie die meisten in der damaligen Zeit unterschätzte auch er die zerstörerische Entschlossenheit der Nationalsozialisten, ließ sich von ihren nationalen Bekundungen sowie ihrem Antikommunismus beeindrucken. Die neue Staatsführung erwartete keine größeren Probleme mit dem konservativen Oberhirten; doch Graf von Galen machte bald deutlich, wie er zu den neuen Machthabern und ihrer Ideologie stand. In seinem Hirtenbrief zu Ostern 1934 und in anderen Veröffentlichungen rechnete Graf von Galen mit den Lehren des NS-Ideologen Alfred Rosenberg ab.
Spätestens von da an war Graf von Galen erklärter Feind der nationalsozialistischen Machthaber und als solcher Zielscheibe propagandistischer Angriffe. Er forderte die Machthaber jedoch weiter heraus, etwa auf einem Kirchenfest in Xanten 1936, auf dem er den Gläubigen zurief: «Ein Gehorsam, der die Seelen der Menschen knechtet, der in das innerste Heiligtum der menschlichen Freiheit, in das Gewissen, greift, ist roheste Barbarei!»
Nur auf Bitten der jüdischen Gemeinde Münsters, die deswegen schärfere Repressalien befürchtete, unterließ er es, gegen die Verfolgung der Juden öffentlich zu protestieren. 1937 gelang es Bischof Galen, die päpstliche Enzyklika Mit brennender Sorge drucken und verbreiten zu lassen, noch bevor die Gestapo eingreifen konnte. Innerhalb der Fuldaer Bischofskonferenz drang er darauf, der Enzyklika ein gemeinsames Schreiben der deutschen Bischöfe zur Lage der Kirche folgen zu lassen; die Mehrzahl der Bischöfe wollte dem kämpferischen Galen darin jedoch nicht folgen.
Angesichts des brutalen Vorgehens der Nationalsozialisten und angesichts der Ermordung Behinderter und unheilbar Kranker hielt Clemens August von Galen im Juli/August 1941 drei Predigten, die unter der Hand als Kopien in ganz Deutschland Verbreitung fanden und auch im Ausland beachtet wurden. So verurteilte er am 20. Juli 1941 Maßnahmen der Gestapo und schärfte seinen Zuhörern ein: «‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.’ Durch das vom Glauben geformte Gewissen spricht Gott zu jedem von uns. Gehorcht stets unweigerlich der Stimme des Gewissens. ... Es kann sein, dass der Gehorsam gegen Gott, die Treue gegen das Gewissen mir oder euch das Leben, die Freiheit, die Heimat kostet. Aber: Lieber sterben als sündigen!» Und am 3. August 1941 sagte er von der Kanzel: «Es ist höchste Zeit, dass wir die göttlichen Gebote zur Richtschnur unseres Lebens machen.»

Graf von Galen und der militärische und studentische Widerstand
Bei allen, die regimekritisch dachten, wurden die Worte Galens als Befreiung und Bestärkung empfunden. Die Predigten fanden schnell große Verbreitung. Sie gelangten auch zu den Soldaten an der Ostfront. Philipp Freiherr von Boeselager, einer der überlebenden Teilnehmer am Attentatsversuch auf Hitler vom 20. Juli 1944, berichtete auf dem Welt¬jugendtag, wie ihn eines Tages ein Mitverschwörer, Oberst Hans Oster, fragte: «Sind Sie mit Galen verwandt?» – «Nein.» – «Schade. Von diesem Mann bräuchten wir eine Handvoll in der Kirche und zwei Händevoll in der Wehrmacht.»
Wie konnten die Predigten in ganz Deutschland und bis an die Fronten kursieren? Einsicht gibt die Geschichte eines katholischen Schülers in Ulm, Heinz Brenner. Er erhielt die Texte von seinem Religionslehrer, Pater Eisele, und vervielfältigte sie mühevoll im Büro seines Vaters: «Sobald mein Vater längere Zeit abwesend war, beschäftigte ich mich mit Matrizenschreiben. … Nach Beendigung der Arbeit lagen uns mehrere hundert mehrseitige Vervielfältigungen vor, wofür wir noch die Umschläge beschriften mussten. Als Adressaten nahmen wir ausschließlich Ulmer Bürger.» Auf den Flugblättern wurde zur Weiterverbreitung aufgefordert. Brenner versandte diese Sendungen auch an die stadtbekannte Familie Scholl. Ein halbes Jahr, nachdem bei Familie Scholl die hektographierten Predigten Galens im Briefkasten gelegen hatten, tauchten bei hunderten von Multiplikatoren in München hektographierte Schriften auf. Sie waren überschrieben: Flugblätter der Weißen Rose. Am Ende wandten sich die Verfasser an den Leser: «Wir bitten Sie, dieses Blatt mit möglichst vielen Durchschlägen abzuschreiben und weiter zu verteilen!».
Wegen seiner Bekanntheit wagten die Nazis nicht, Graf von Galen zu verhaften; er überstand den Krieg unbeschadet. Auf Grund seines mutigen Aufbegehrens gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime wurde er am 17. Februar 1946 von Papst Pius XII. in den Kardinalsstand erhoben. Nachdem er bei seiner Rückkehr aus Rom von Tausenden Münsteranern freudig empfangen worden war, erlitt er kurze Zeit später einen Blinddarmdurchbruch und starb wenige Tage darauf, am 22. März 1946.

Predigt vom 13. Juli 1941
Ich bin mir bewusst, dass ich als Bischof, als Verkünder und Verteidiger der von Gott gewollten Rechts- und Sittenordnung, die jedem Einzelnen ursprüngliche Rechte und Freiheiten zuspricht, vor denen nach Gottes Willen alle menschlichen Ansprüche haltmachen müssen, berufen bin, […] die Autorität des Rechts mutig zu vertreten und eine verteidigungslose Verdammung Schuldloser als himmelschreiendes Unrecht zu verurteilen!

Predigt vom 3. August 1941
Wie ich zuverlässig erfahren habe, werden jetzt auch in den Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Westfalen Listen aufgestellt von solchen Pfleglingen, die als so genannte «unproduktive» Volksgenossen abtransportiert und in kurzer Zeit ums Leben gebracht werden sollen. Aus der Anstalt Marienthal bei Münster ist im Laufe dieser Woche der erste Transport abgegangen! […] So müssen wir damit rechnen, dass die armen, wehrlosen Kranken über kurz oder lang umgebracht werden. Warum? Nicht weil sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben, nicht etwa, weil sie ihren Wärter oder Pfleger angegriffen haben, so dass diesem nichts anderes übrig blieb, als dass er zur Erhaltung des eigenen Lebens in gerechter Notwehr dem Angreifer mit Gewalt entgegentrat. […] Nein, nicht aus solchen Gründen müssen jene unglücklichen Kranken sterben, sondern darum, weil sie nach dem Urteil irgendeines Amtes, nach dem Gutachten irgendeiner Kommission «l e b e n s u n w e r t» geworden sind, weil sie nach diesem Gutachten zu den «unproduktiven» Volksgenossen gehören.
[…] Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden? Wenn man den Grundsatz aufstellt, dass man den «unproduktiven» Mitmenschen töten darf, dann wehe uns allen, wen wir alt und altersschwach werden! Wen man die unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozess ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als Invaliden in die Heimat zurückkehren!
[…] Du sollst nicht töten! Gott hat dieses Gebot in das Gewissen der Menschen geschrieben, längst ehe Staatsanwaltschaft und Gericht den Mord mit Strafe bedrohte, längst ehe Staatsanwaltschaft und Gericht den Mord verfolgten und ahndeten. […] Du sollst nicht töten! Dieses Gebot Gottes, des einzigen Herrn, der das Recht hat, über Leben und Tod zu bestimmen, war von Anfang an in die Herzen der Menschen geschrieben.