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Briefe
Briefe Februar 2006
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Nicht Worte, sondern Gesichter
Lieber Don Julián, ich möchte dir berichten, was bei der Neujahrsfeier der Gemeinschaft von CL in Pesaro passiert ist. Ich saß neben einer Freundin und sie sagte mir, sie habe vor etlicher Zeit entschieden, «aus persönlichen Gründen» aus der Bewegung auszutreten. Sie fragte mich, warum ich dazu gehöre. Ich überlegte mir kurz, was die beste Antwort sein könnte, aber dann fragte ich mich: «Was ist für mich die Bewegung?» So kamen mir nicht fertige Antworten oder Worte in den Sinn, sondern Gesichter. Zum ersten Mal wurde ich mir bewusst, dass die Bewegung nicht aus schönen Floskeln besteht, sondern aus Gesichtern, durch die sich mir Christus jeden Tag zeigt. Freunde, die mich nicht für meine Leistungen oder Fähigkeiten lieben, sondern so wie ich bin. Angesichts von jemandem, der mich fragt, was die Bewegung sei, kann ich keine Definition oder Erklärung liefern. Denn ich bin etwas begegnet, das zu groß ist, um erklärt werden zu können. Ich kann nur sagen: «Komm mit und versuch selber, es zu leben.»
Tatiana, Pesaro

Um das Wunder bitten
Alles hat vor etwa zehn Jahren angefangen. Eines Abends, als ich nach Hause zurückging, sagte ich zu Davide: «Weißt du, wann ich wirklich etwas verstehe? Wenn ich leide.» Ich erinnere mich, dass er mich etwas verdutzt anstarrte. Er verstand nicht, was ich meinte, aber der liebe Gott nahm mich beim Wort. Ich schloss das Studium ab, fand eine Einstellung und heiratete Davide. Ich wollte 3 Kinder haben. 4 wären zu viel gewesen, da ich berufstätig sein wollte, und 2 zu wenig ... Na ja, wie es bei einigen vorkommt, kamen die Kinder nie. So was hätte ich für mein eigenes Leben aber nie für möglich gehalten. Die Zeit verging, der Wunsch wurde immer größer, aber nichts geschah. Ich war völlig verzweifelt und fassungslos. So fragte ich mich: «Was habe ich denn getan?» und schrie: «Was willst Du?» Mit den Jahren führten Wut und Schmerz zu sehr wechselhaften Gemütszuständen. Je schlechter es mir ging, desto feindlicher erschien mir die Welt. Nach etwa drei Jahren Ehe sagte eine Frauenärztin zu mir: «Bei dir stimmt alles. Warum ziehst du nicht eine Adoption in Erwägung?» Ich ging nicht mehr zu ihr. Die Adoption! Ein Kind, das nicht meines ist, für das ich nicht einmal den Vornamen wählen kann und das meinem Mann nicht ähnelt .... Ich begann zu beten, sehr viel. Ich gab Ihm meinen ganzen Schmerzen hin, damit jemand anderer statt meiner in jenen Augenblicken ein bisschen Freude haben konnte als Entgelt für meine Schmerzen. Allmählich gab ich nach. Der Schmerz, das Opfer und die Geduld nahmen Raum ein und erfüllten mein Herz. Das Gebet wurde immer größer und füllte den Alltag aus. Die alten Freunde schienen uns nicht mehr zu entsprechen. Nur diejenigen, die mit dem Leiden vertraut waren, oder einen tiefen Glauben hatten, stellten für mein Leben eine Antwort dar. Seitdem suchte ich nach jemandem, der für mich eine Begleitung sein könnte. Ich bat dann darum zu verstehen, dass auf meinem Wunsch nach Erfüllung doch eine Antwort kommt, egal welche. Ich fing an, mich jemandem anzuvertrauen. Eines Tages gingen wir zu Don Fabio. Er empfahl uns u.a. zu Pater Claudio in der Abtei Cascinazza zu gehen. Seit etwa fünf Jahren klingeln wir pünktlich jeden Monat an den Toren der Abtei ... Don Fabio sagte oft: «Bittet um das Wunder, bis ihr daran glaubt. Wenn ihr ein Kind wollt, bittet um ein Kind. Aber ihr müsst daran glauben.» Ich habe an das Wunder geglaubt und es hat sich ereignet, besser gesagt, es waren zwei, und zwar aus Russland. Vor etwa einem Jahr traf ich meine Söhne. Kolja und Jurij sind zwei wunderbare Kinder. Sie sind nicht von mir geboren, aber sie werden jeden Tag tiefer und tiefer Teil von mir. Jetzt, so viele Jahre nach meiner nicht sehr klugen Bemerkung, bitte ich jeden Morgen darum, die Dinge durch einen starken Glauben zu sehen, ohne so viel leiden zu müssen. Und für jene, die leiden, dass sie sich ohne zu zögern der Begleitung der Freunde anvertrauen. Der Schmerz war mein Schmerz. Niemand, nicht einmal Gott, nahm ihn mir ab. Aber wie anders erträgt man ihn, wenn man die Gegenwart Christi anerkennt und sich den Freunden anvertraut! Kurz vor Weihnachten habe ich das folgende Gespräch zwischen meinen Söhnen belauscht: «Schau mal auf jene Streifen da oben (es waren die Kondenzstreifen von Flugzeugen am blauen Himmel). Sie sehen wie eine Zeichnung aus». «Sicher! Jesus ist dabei zu zeichnen!» «Warum, wo zeichnet Jesus?» «Jesus zeichnet im Himmel». In jenem Augenblick, während ich selig die Schönheit des Himmels ... und ein bisschen dümmlich den Scharfsinn meiner Kinder bewunderte, begriff ich, dass die Dinge an ihrem Platz sind und dass jene Linie immer gerade gelaufen ist und immer gerade laufen wird.
Daniela

Drei Geschenke
Lieber Julián, vor zehn Jahren ist mein Mann Gigio zum Haus des Vaters zurückgekehrt. Seit zehn Jahren lebe ich meine eheliche Berufung in einer schmerzlichen Form, die aber auf geheimnisvolle Weise tief und rein ist. Am 31. Dezember 1995 hat er mir drei Geschenke hinterlassen: Den Glauben, die Mutterschaft, die Bewegung. Der Glaube, der vom Zeugnis von Männern und Frauen genährt wird, die von Gott ergriffen werden, gibt mir die Hoffnung, dass das gute Angesicht des Geheimnisses sich offenbart. Die Mutterschaft (ich erwartete mein drittes Kind, Riccardo, während Matteo 7 und Andrea 5 Jahre alt waren) zwang mich, mit beiden Beinen in der Wirklichkeit zu stehen. Ich muss hart arbeiten, um den Unterhalt für meine Familie zu verdienen, und gleichzeitig meiner Pflicht als treue Mutter nachkommen. Die Bewegung (die aus Gesichtern, aus dem Seminar der Gemeinschaft, aus der Fraternität besteht, die aber besonders Gegenwart von Einem ist, der antwortet und Zeichen der Hoffnung und Gewissheit ist) hielt mein Herz stets in Spannung, indem sie mir erlaubte, dem Geheimnis zu begegnen, es anzuerkennen und zu lieben. Damit war und ist Christus selbst das Wesen der Beziehung zu meinem Mann und das Wesen aller Beziehungen. Ich rebellierte und war nicht immer demütig, aber ich stimmte immer zu, indem ich nach jedem Hinfallen wieder neu begann. Und jetzt erkenne ich alle Wunder, die in meinem Leben geschehen sind: Meine Kinder, die in Glanz und Weisheit wachsen; die immer zahlreicheren und wahren Freunde; mein Herz, das sich dank des Charismas nicht in Angst verschlossen, sondern geöffnet hat und sogar fähig zur Barmherzigkeit ist, auch gegenüber denen, die mich nicht immer verstehen und annehmen. Die Mühe ist noch groß, die Wunde tief, aber dies stellt keinen Einwand mehr dar. Das Leben ist ein wundervolles Abenteuer in den Armen Christi, der mich erobert hat und mein Herz von einer unbeschreiblichen Freude erfüllt.
Rosanna, Mailand

Bei einer Papstaudienz
Liebe Freunde, am Samstag, 14. Januar wurde ich in Privataudienz von seiner Heiligkeit Benedikt XVI. empfangen. Ich durfte etwa eine halbe Stunde mit ihm sprechen. Die Begegnung hat mich sehr gefreut und tief berührt. Für mich war dies eine Ehre, für die ich immer noch dankbar und erstaunt bin. Aus der Nähe betrachtet, ist der Papst noch liebenswürdiger und väterlicher, als er schon in der Öffentlichkeit erscheint. Zugleich ist er ein sichtbares und fassbares Zeugnis des guten, leidenschaftlichen und barmherzigen Gottes. Während ich in seinem Studienzimmer wartete - der Sekretär hatte uns dorthin begleitet -, kam mir der Gedanke, dass ich dank der Begegnung dort war, die mein Leben gezeichnet hatte. Bei diesem Gedanken erfüllt sich das Herz noch mehr mit Erregung und Dankbarkeit. Und während ich dem Papst das erzählte, was ich von Don Giussani gelernt hatte und wie ich seiner Erziehung folgend vor 20 Jahren in die Politik ging lächelte er und sagte, auch er habe Don Giussani sehr gut gekannt und geschätzt. In der Tat hatte er ihm vergangenes Jahr bei der Trauermesse unvergessliche Worte gewidmet. Ich berichtete dem Papst von meinem Bemühen, für ein christliches Verständnis der Welt und Gesellschaft einzutreten, wie es aus der christlichen Soziallehre hervorgeht. Ferner berichtete ich ihm, wie wir in elf Jahren an der Spitze der Region Lombardei versuchen, Begriffe wie Unterstützung, Solidarität, Familienförderung und persönliche Freiheit auf allen Gebieten in die Tat umzusetzen. (...) Benedikt XVI. hörte mir zu und stellte Fragen, etwa nach meinen Vorstellungen und Vorschlägen zu verschiedenen aktuellen Themen, wie Europa, die Säkularisierung, Christen in der Politik und auf der Welt. Er sprach mir Mut zu, gab mir seinen Segen und versprach, mich in seine Gebete aufzunehmen. Als ich ihm am Ende des Treffens, die zwei Mitarbeiter vorstellte, die mich begleiteten, sagte er zu ihnen, «Ihr leistet eine wichtige Arbeit, macht weiter so» . Ja, es ist in der Tat erfüllend für den Papst gemeinsam mit der Bewegung in der Politik zu wirken.
Roberto Formigoni, Regierungschef der Region Lombardei